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200 Jahre Laveshaus

Jubiläumsausstellung zur 200-jährigen Nutzungsgeschichte eines der bedeutendsten Baudenkmale Hannovers

Eröffnung am 8. Juni  um 18 Uhr im Rahmen der Nacht der Museen

Einführung

1824 vollendete Georg Ludwig Friedrich Laves sein Wohnhaus an der Friedrichstraße, heute Friedrichswall. Dieses Jubiläum, 200 Jahre Laveshaus, ist der Anlass, die Geschichte des Hauses und seiner Bewohnerinnen und Bewohner aufzugreifen.

Zunächst als Wohn- und Mietshaus genutzt, zogen nach dem Verkauf an die Stadt Hannover 1908 verschiedene Ämter im Laveshaus ein. Während der nationalsozialistischen Herrschaft war hier für wenige Jahre das Gesundheitsamt untergebracht. Es beteiligte sich auch an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Das Laveshaus blieb als eines der wenigen Gebäude in Hannover von der Kriegszerstörung nahezu vollständig verschont. Diese Besonderheit macht das Haus für die Baugeschichte Hannovers einzigartig. Anfang der 1990er-Jahre wurde die Baugeschichte des Hauses ausführlich von Prof. Dr. Günther Kokkelink, Bauhistoriker, und Dipl.-Ing. Klaus Dieckmann erarbeitet. 1996 wurde das Gebäude an die Architektenkammer Niedersachsen verkauft. Es folgte eine Renovierung auf der Grundlage der Bauforschung. Eine Rekonstruktion der historischen Substanz war das Ziel. Das ehemalige Wohnhaus wurde zum Sitz der Architektenkammer mit Besprechungszimmern, Büros und anderen Funktionsräumen umfunktioniert. Heute ist das Laveshaus Zentrum der Baukultur in Niedersachsen.

Biographie Georg Ludwig Friedrich Laves

  • 1788 / Georg Ludwig Friedrich Laves wurde am 17. Dezember als Sohn des Pastors Ernst Friedrich Laves und Ernestine Amalie, geb. Leonhardt, in Uslar geboren.
  • 1804 / Laves besuchte drei Jahre die Kunstakademie in Kassel. Sein Onkel, der Architekt Heinrich Christoph Jussow, war der Leiter der Akademie. Ab 1807 studierte Laves in Göttingen und besuchte naturwissenschaftliche Vorlesungen. 
  • 1812 / Laves trat in den Dienst der Bauverwaltung des Königreichs Westphalen. 1813 reiste er mit Unterstützung des hannoverschen Hofes nach Italien und Frankreich. Damit schloss er seine Ausbildung zum Architekten ab.
  • 1816 / Laves wird zum hannoverschen Hofbaumeister ernannt. Ab 1817 arbeitete er am Bibliothekspavillon in Herrenhausen und am Neubau des Leineschlosses. 1834 schloss Laves die klassizistische Schlossfassade zur Leinstraße mit einem Säulenportikus ab.
  • 1822 / Laves und die Tochter des Archivrates Georg Kestner, Wilhelmine, heirateten. Der Schwiegervater gab das Grundstück des heutigen Laveshauses als Mitgift in die Ehe. Das Ehepaar Laves hatte vier Kinder.
  • 1832 / Die Waterloosäule wurde nach den Plänen Laves fertiggestellt. Laves trägt mit seiner architektonischen Gestaltung wesentlich zur Veränderung des Stadtbildes bei.
  • 1833 / Das benachbarte Wangenheim-Palais wurde von Laves für den Oberhofmarschall Georg von Wangenheim errichtet. 1862 wurde das Gebäude an die Stadt verkauft. Bis 1913 ist es als Rathaus genutzt worden.
  • 1852 / Das Opernhaus, Laves letztes großes Bauwerk in Hannover, wird vollendet. 
  • 1864 / Georg Ludwig Friedrich Laves stirbt mit 75 Jahren.

Laves und die Kestners

1822 heiratete der Architekt Georg Ludwig Friedrich Laves Wilhelmine Kestner, die Tochter seines Auftraggebers Georg Kestner. Durch diese Verbindung war Laves mit einer der bekanntesten Familien Hannovers verbunden. Sein Schwiegervater Georg war der Sohn von Johann Christian und Charlotte, geb. Buff. Dieses Ehepaar Kestner  war im 19. Jahrhundert in ganz Europa berühmt.

Ihr Freund Johann Wolfgang von Goethe nahm eine gemeinsame Begegnung in Wetzlar und den zeitgleichen Selbstmord eines Bekannten zum Anlass, sein einflussreiches Werk „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) zu verfassen. In Werthers Lotte ist die junge Charlotte Buff zu erkennen. Nach ihrem Tod 1828 wurde Charlotte auf dem Friedhof der Gartenkirche in Hannover begraben. Laves gestaltete ihr Grabmal. August Kestner, Wilhelmines Onkel, ging als Sammler und Museumsgründer in die Geschichte Hannovers ein. Das von seinem Neffen Hermann der Stadt geschenkte Museum wurde 1889 gegenüber dem Laveshaus errichtet. Laves‘ Sohn George, einer der Bewohner des Laveshauses, wurde erster ehrenamtlicher Direktor des Kestner-Museums.

Vom Plan zum Haus

Das große Grundstück an der Friedrichstraße wurde von dem Archivrat Georg Kestner im September 1821 erworben. Kestner wohnte mit seiner Familie in einem von Laves 1819 umfassend renovierten Bürgerhaus in der Leinstraße. Die Grundstücke grenzten beinahe aneinander, ein kleiner Weg verband sie. Auf dem Grundstück an der Friedrichstraße sollte Laves für Kestner ein zweigeschossiges Mietshaus errichten. Das Haus hatte den herrschaftlichen Ansprüchen des frühen 19. Jahrhunderts zu genügen. Gesandte, höhere Würdenträger und Adelige konnten in dem Haus ein Stadtpalais finden, das ihren repräsentativen Bedürfnissen entsprach. Auch Stallungen für Pferde und Kutschen wurden geplant.

Laves erster Entwurf für das Haus stieß beim Magistrat der Stadt auf Ablehnung. Nach Ansicht der Stadtoberen war das Wohnhaus für das große Grundstück zu klein geplant und es sollte direkt an der Straße gebaut werden. Laves dagegen ließ es von der Straße abrücken und mit einem Garten umgeben. Hierfür entwarf er einen in sich harmonisch geschlossenen Baukörper in der Form eines Kubus. Durch ein Tor gab es eine Auffahrt zum Vorplatz. Laves‘ frühe Entwürfe hatten bereits den Charakter einer kleinen Villa in einem Garten.

Im Mai 1822 heirateten Laves und Georg Kestners älteste Tochter Wilhelmine. Als Mitgift brachte sie das Grundstück Friedrichstraße in die Ehe. Laves veränderte nun erneut den Entwurf des Hauses. Ein weiteres Geschoss sollte als Wohnung der jungen Familie Laves dienen. Der Magistrat stimmte der Vergrößerung des Hauses zu, die Baugenehmigung erging am 23.10.1822 und die Bauarbeiten konnten beginnen.

Laves plante das frei stehende Haus in geometrisch-kubischer Form. Der Bau wurde als 62 Fuß breiter und 47 Fuß tiefer (18,1×13,7m), massiver, dreigeschossiger Putzbau mit je fünf Fensterachsen ausgeführt. Das Erdgeschoss zeigt Rustikamauerwerk, die Fenster haben einen Rundbogen als Abschluss. 

Die Hauptfassade ist durch drei tief liegende Bogenstellungen im Erdgeschoss stark gegliedert. Über ihr erheben sich vier ionische Säulen, die den schmalen Balkon des zweiten Obergeschosses tragen. Die Brüstungsfelder der Fenster in der ersten Etage sind mit kleinen dorischen Halbsäulen gestaltet.

Ursprünglich sollte das Balkongitter oberhalb der Säulen durch Pfeiler mit Vasen unterbrochen werden. Die Vertikale wäre so bis zum zweiten Geschoss stärker betont worden. Den Abschluss bildet ein Dreiecksgiebel. Die hervorspringende Wandfläche wird als Risalit bezeichnet. Dieser Mittelrisalit strukturiert die Fassade rhythmisch und wird in geringerer Tiefe an den drei anderen Seiten wiederholt. 

Laves war ein bedeutender Vertreter des Klassizismus in Deutschland. Der Klassizismus hatte die Antike zum Vorbild. In Motiven und Details lässt sich diese Antikenrezeption auch im Laveshaus wiederfinden. Antike Formenelemente sind etwa die ionischen Säulen der Hauptfassade, der Palmettenfries der Seitenfassade oder der Zahnschnitt und die Kragsteine des Kraggesimses unterhalb des Daches.

Laves plante für das Haus verschiedene Wohn- und Arbeitsbereiche. Bis heute können die Zimmer der einzelnen Etagen über einen sogenannten Vorplatz erreicht werden. Der Vorplatz erhält durch Fenster der rückwärtigen Fassade Licht. Ursprünglich waren die einzelnen Zimmer durch Türen miteinander verbunden. Die größten und hellsten Räume liegen nach Süden.

Laves vermietete das Erdgeschoss und die erste Etage. Mit der offenen Treppenanlage (Vestibül), einem großen Speisesaal sowie der ersten Etage mit der hohen Zimmerflucht zur Straße entsprachen die Räume repräsentativen Ansprüchen. Hinzu kamen Arbeits- und Wohnräume für die Mieter und ihre Bediensteten. Im Keller waren Küche, Speise- und Weinkeller sowie Kohlenlager untergebracht. Vermutlich diente ein Speiseaufzug zur Bedienung der oberen Etagen.

Die zweite Etage und das Dachgeschoss waren der Familie Laves und ihren Bediensteten vorbehalten. Die Wohnung konnte über eine Treppe auf der nordwestlichen Seite erreicht werden. Die heutige Treppe nimmt die gesamte Fläche des nordwestlichen Eckzimmers ein.
Ursprünglich war die Treppenanlage allerdings nur halb so groß, sodass sich nach Westen noch je eine kleine Kammer anschloss. In der zweiten Etage befand sich neben Laves‘ Arbeitszimmer auch eine Küche. Im Dachgeschoss hatten die Bediensteten ihre Schlafräume, ebenso wie die Kinder der Familie Laves. Bereits drei Jahre nach Einzug wurde dafür das Dach nördlich mit einem Zwerchhaus ausgebaut. 

Das Vestibül ist mit den zweifarbigen Fußbodenfliesen aus Marmor, den frei stehenden Säulen und der doppelläufigen Treppe als Raum für Festivitäten konzipiert. Laves setzte dabei auf einen fortschrittlichen Eindruck. Das blaue Holzgeländer der Treppe sollte wohl Gusseisen imitieren. Durch die Sanierung Ende der 1990er-Jahre ist seine ursprüngliche Wirkung heute wieder erfahrbar.

Zu der von Laves konzipierten Ausstattung gehören auch drei Leinwandgemälde aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert. Die Gemälde zeigen drei Szenen der griechisch-römischen Mythologie. Im Mittelbild nähert sich der Göttervater Zeus seiner Geliebten Semele in seiner wahren Gestalt, der Glanz des Gottes sollte sie allerdings verbrennen. Danach trug Zeus ihren gemeinsamen Sohn Dionysos selbst aus. Im östlichen Bild (links) verführt Hera ihren Gatten Zeus mithilfe des Gürtels der Aphrodite, damit dieser vom trojanischen Krieg abgelenkt würde. Im westlichen Gemälde (rechts) eilt der Jäger Kephalos zur Jägerin Prokris, seiner Geliebten. Sie war ihm heimlich gefolgt und er erschoss sie aus Versehen mit einem unfehlbaren Pfeil.

Möglicherweise erhielt Laves die drei Gemälde von seinem Schwiegervater Georg Kestner zum Geschenk. Kestner besaß eine umfangreiche Gemäldesammlung, die er Anfang des 19. Jahrhunderts auch aus adeligem Besitz erwarb. Der künstlerische Stil der drei Gemälde ähnelt den Werken, die italienische Maler Ende des 17. Jahrhunderts für das Lindener Schloss der Grafen von Platen geschaffen haben. Ob Laves die Bildthemen bewusst vorsah oder die Bilder lediglich dekorativen Charakter besaßen, ist nicht überliefert. Die Gemälde gehören zu den wenigen Ausstattungsstücken, die sich im Haus selbst erhalten haben.

Familie Laves und Mieter

Ende des 18. Jahrhunderts wurden die barocken Befestigungsanlagen der Städte durch die veränderten Kriegstechniken und Strategien überflüssig. An den Rändern der ehemals begrenzten Städte konnten neue Gebiete zum Wohnen, Arbeiten und Flanieren erschlossen werden. In Hannover wurden die südlichen Wallanlagen 1784 niedergelegt. Es entstand dort die Friedrichstraße (heute Friedrichswall). Die Straße wurde als breite Promenade von Baumreihen gesäumt angelegt. Hier sollte eine repräsentative Bebauung das Stadtbild nach Süden prägen. Die Promenade verband die Neustadt im Westen mit der Aegidienvorstadt im Osten. Eine Bebauung war zunächst nur zur Stadt hin vorgesehen. Auf der anderen Straßenseite schloss sich eine Parkanlage in Richtung Leinemasch an. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Kestner-Museum (1889) auch diese Seite der Friedrichstraße bebaut. Seit 1913 nahm das Neue Rathaus die größte Fläche des Maschparks ein. An der Friedrichstraße fanden um 1800 Gesellschaftshäuser, wie der Englische Club oder das russische Dampfbad, Platz. Später kamen herrschaftliche Wohnhäuser hinzu, westlich des Laveshauses ließ sich Oberhofmarschall Georg von Wangenheim 1833 von Laves ein Stadtpalais errichten. Von 1862 bis zum Neubau am Maschpark diente das Wangenheim-Palais als Rathaus der Stadt Hannover.

Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sich in Richtung des heutigen Aegidientorplatzes Mietshäuser an. Direkt neben dem Laveshaus, am Neuen Weg 3, wurde 1891 die Staatliche und Städtische Handwerker- und Kunstgewerbeschule errichtet. Die Friedrichstraße entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einer Hauptverkehrsachse, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie Teil des ausgebauten Cityrings.

Drei Generationen der Familie Laves bewohnten das Haus bis ins 20. Jahrhundert. Nach dem Tod von George Laves (1825–1907), ältester Sohn von Georg und Wilhelmine Laves, im Jahr 1908 wurde das Haus an die Stadt Hannover verkauft. Bis 1917 lebte aber noch die Familie des Majors a.D. Burchard im Parterre und der ersten Etage, seine erste und zweite Ehefrau waren Töchter von George Laves. Aus dem Beginn des 20. Jahr-hunderts haben sich Fotos der Wohnung erhalten. Sie zeigen die Einrichtung aus Mobiliar, das der Architekt Laves entworfen hatte, sowie Gemälden aus Familienbesitz. Die Familie ließ 1872 durch den früheren Mitarbeiter von Laves, Architekt Justus Molthan (1805–1885), einen Wintergarten mit Veranda an die östliche Seitenfassade anbauen. Zur Familie Laves und den Mieterinnen und Mietern gehörte eine Anzahl Bedienstete wie Diener, Mägde, Köchinnen und Kutscher. Sie wurden im Vorder- und Hinterhaus untergebracht. Ab 1824 plante Laves das Hinterhaus mit den Stallungen. Er kaufte eigens seinen Nachbarn Teile ihrer Gärten ab. Um 1830 wurde der verputzte Fachwerk-bau um Wohnräume für Bedienstete, 1838 mit zwei Flügeln um weitere Stallungen erweitert. Das Hinterhaus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Atelierhaus
1855 errichtete Laves das Atelierhaus als Nebengebäude für seinen Sohn George. George Laves war als Historienmaler tätig. Mit seinem Onkel Hermann Kestner reiste er zu Studien nach Italien. George bewohnte mit seiner Familie das Atelierhaus, im hinteren Gebäudeteil wurde seine Malerwerkstatt eingerichtet. Justus Molthan erweiterte 1873 das Atelierhaus um ein drittes Stockwerk. Nachdem George 1880 in das Haupthaus gezogen war, konnte das Atelierhaus vermietet werden. Bis in die 1980er-Jahre war es bewohnt.

Während Familie Laves den 2. Stock und das Dachgeschoss bewohnte, wurden das Erdgeschoss und der 1. Stock vermietet. Die großzügige Gestaltung des Vestibüls und des 1. Stockwerks ließen eine repräsentative Nutzung für höhere Stände zu. Der erste Mieter war ein französischer Gesandter in Hannover. Von 1840 bis 1863 bewohnte der General der hannoverschen Infanterie Sir Hugh Halkett (1783–1863) bis zu seinem Tod das Laveshaus. An der Schlacht bei Waterloo 1815 nahm er als Offizier der King’s German Legion teil. Später trat er in den Dienst des Königreichs Hannover. Halkett wurde als Kriegsheld bis ins 20. Jahrhundert verehrt. Eine Gedenktafel befand sich an der Hauptfassade des Laveshauses.

Friedrich Wilhelm Jochem – Direktor der Kunstgewerbeschule
1922 wurde der Architekt Friedrich Wilhelm Jochem (1881–1945) als Direktor der Staatlich-Städtischen Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Hannover berufen. Er war von 1899 bis 1903 Meisterschüler des Architekten Joseph Maria Olbrich in Darmstadt. Später arbeitete er als Lehrer an der Kieler Gewerbeschule, seit 1912 als Direktor der Kunstgewerbeschule Pforzheim und 1913 wurde er in den Werkbund aufgenommen. Im Sinne des engen Austausches von Kunst, Industrie und Handwerk war er an der hannoverschen Kunstgewerbeschule tätig. Hier fertigte er vor allem Entwürfe von Möbeln an, die von der Tischlereiwerkstatt der Schule ausgeführt wurden. Während des Nationalsozialismus wurde er 1937 unter anderem aufgrund seiner früheren Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge frühzeitig pensioniert.

Die Kunstgewerbeschule stand in direkter Nachbarschaft des Laveshauses am Neuen Weg. Jochem bewohnte von 1924 bis Anfang 1938 mit seiner Familie eine Wohnung im zweiten Stock, der ehemaligen Laves-Wohnung.

Gesundheitsamt

Zum 1. April 1935 bezog das Gesundheitsamt Hannover seine Räume im Laveshaus, Friedrichstraße 16, sowie einem nahen Gebäude der Leinstraße. Damit wurden vorher gesonderte Bereiche der Gesundheitspflege und Volkswohlfahrt gebündelt. Die Tageszeitung „Hannoverscher Kurier“ hatte vorher in einem Artikel die Aufgaben der Gesundheitsämter klar benannt: „Als Generalidee für die Aufgaben der neuen Ämter erklärt der Referent die Ausmerzung der Asozialen und Erbkranken sowie die Höherentwicklung und Aufartung des deutschen Volkes.“ Das zugrunde liegende Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens von Juli 1934 sollte dafür sorgen, nationalsozialistische Grundsätze der Auslese in allen Bereichen des Gesundheitswesens zu verankern. Wenn sie sich darauf verpflichteten, konnten große Kommunen – wie Hannover – eigene Gesundheitsämter einrichten.

Zum Aufgabenbereich der Stelle gehörten Eheberatung, Gutachten über den „Erbwert“ von Heiratswilligen und als Bedingung von Ehestandsdarlehen, der Aufbau einer umfassenden „Erbkartei“, Anträge auf Sterilisierung und mehr. Ihr Zugriff war total: Informationen wurden durch ein Netz von Institutionen und beruflich Zuständigen zugeliefert. Bei dem Verdacht auf Erbkrankheit bestand eine Anzeigepflicht für Ärzte, Zahnärzte, selbstständige Krankenschwestern und angestellte „Volkspflegerinnen“, Masseure, Heilpraktiker, Hebammen sowie Leiter von Pflege-, Straf- und Fürsorgeerziehungsanstalten. Als Ergebnis dokumentierten umfangreiche Karteien die Abweichungen von der Norm in Familien über Generationen („Sippentafel“, Erbkartei).

Text: Michael Pechel | Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover e.V.

Die Erbkarteien sammelten Merkmale wie Schulleistungen, Sonderbegabungen, Charaktereigenschaften, Alkoholmissbrauch, ansteckende oder Erbkrankheiten, Heim- und Krankenhausaufenthalte, Körperbautyp („arisch“ oder „nichtarisch“) und mehr.

Insbesondere aus der Abteilung III des Gesundheitsamtes „Erb- und Rassenpflege“ stammten Anträge auf Sterilisationen und erzwungene Abtreibungen wegen angeblicher Erbkrankheiten: „Schwachsinn“, Trunksucht, Epilepsie, Blindheit, Missbildungen und mehr. Nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von Juli 1933 konnte eine Unfruchtbarmachung erstmals erzwungen werden. Rund zwei Drittel der über 2.100 Anträge auf Sterilisierung durch das städtische Gesundheitsamt im Zeitraum 1935–1945 enthielten die Diagnose „angeborener Schwachsinn“. Betroffen davon waren aus rassischen Gründen überproportional Angehörige der Sinti und Roma. Nicht zuletzt wachte die Abteilung darüber, dass die „Qualität des deutschen Volkskörpers“ nicht durch „Vermischung“ sinke. Da in den Erbkarteien auch „abweichende Rassen“ vermerkt wurden, arbeitete das Gesundheitsamt der Kriminalpolizei und Gestapo bei der Erfassung von Juden und Sinti zu.

All diese Aufgaben führten zur ständigen personellen Aufblähung: Während das Gesundheitsamt im April 1935 seine Arbeit mit 105 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begonnen hatte, zählte es vor Kriegsbeginn bereits 160 Personalstellen. Zu diesem Zeitpunkt hatte es längst die engen Räumlichkeiten in Friedrichstraße und Leinstraße verlassen und war im September 1937 in eine ehemalige Unfallklinik in der Weinstraße umgezogen.

Text: Michael Pechel | Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover e.V.

Nach dem Erlass der Nürnberger „Blutschutzgesetze“ von September 1935 waren Juden und Sinti besonders stark im Visier des neuen Gesundheitsamtes. Dabei kam es auch zu Überraschungen. 1936 wurde bekannt, dass der in Sachen Erbpflege sehr engagierte Verwaltungsleiter, Oberamtmann Gustav G., selbst einen jüdischen Großelternteil hatte. Als „Mischling 2. Grades“ war er in dieser Funktion untragbar und wurde in den Ruhestand versetzt.

Die NS-Justiz verfolgte Abtreibungen als „Verbrechen an der Lebenskraft des deutschen Volkes“ streng. Davon ausgenommen wurden Frauen mit angeblichen Erbkrankheiten. Die 33-jährige Sintizza Gertrud W. hatte 13 Kinder zur Welt gebracht. Ihr Kinderreichtum führte jedoch nicht zum „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“ in Gold (für acht oder mehr Kinder), dessen Verleihung an „Deutschblütigkeit“, „Erbgesundheit“ und „sittlicheinwandfreien Lebenswandel“ gebunden war. Ein Gutachter stufte ihre Bildung als „intellektuellen Schwachsinn“ ein. In der Hebammenlehranstalt wurde die Abtreibung, anschließend im städtischen Nordstadtkrankenhaus die Sterilisierung vorgenommen. Als ihr das Kind herausgeschnitten wurde, war sie im sechsten oder siebten Schwangerschaftsmonat. Die Meldebehörde vermerkte Geburt und Tod des Kindes am selben Tag.

Zur Nachgeschichte: Für Täter im NS-Gesundheitsapparat bedeutete das Kriegsende selten einen Karriereknick. Im Gegenteil: Rudolf W., ein Leiter der Abteilung Erb- und Rassenpflege, stieg im Jahre 1953 zum Leiter des Gesundheitsamtes Hannover auf.

Die Texte zum Gesundheitsamt Hannover folgen dem Standardwerk: Rüdiger Fleiter, Stadtverwaltung im Dritten Reich. Verfolgungspolitik auf kommunaler Ebene am Beispiel Hannover. Hannover, 2006

Text: Michael Pechel | Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover e.V.

Hannover war vor dem Zweiten Weltkrieg eine der größten Fachwerkstädte Deutschlands. Aber zu beiden Seiten der Leine, in Altstadt und Calenberger Neustadt, standen Elendsquartiere inmitten einer modernen Großstadt. Verantwortlich für die Wohnungsnot war der rasante Bevölkerungszuwachs seit der Industrialisierung. Der hannoversche Philosoph Theodor Lessing beobachtete Mitte der 1920er-Jahre Menschen „in diesem schmutzigen Häusergewirr auf den seit Jahrhunderten ausgetretenen Holzstiegen, in Verschlägen, mehr Käfigen gleich, nur durch dünne Tapetenwände oder Bretterverschläge von einander abgetrennt (...).“

Nach dem Bau des Maschsees 1934–36 war die Altstadtsanierung das zweite große lokale Stadtbauprojekt der Nationalsozialisten. Erklärtes Ziel waren „Licht, Luft und Gesundheit für einen altersschwachen Stadtteil“ (NS-Blatt „Niedersächsische Tageszeitung“, 1937). Dieser Begriff von „Gesundheit“ hatte eine rassistische Basis: „Trockenlegen des Altstadtsumpfes“ als Gefahrenherd für die „erbgesunde“ Umgebung.Die Sanierungspläne umfassten für den Anfang drei Schwerpunkte: Der Umbau des Kreuzkirchenviertels mit Abrissen ganzer Straßenzüge und Freisetzung des historischen Ballhofs war bei Kriegsbeginn weitgehend abgeschlossen. Ebenfalls fertiggestellt war eine große Freifläche hinter der Markthalle als Parkplatz für die Händler. Der dritte (nicht umgesetzte) Abschnitt betraf die unmittelbare Umgebung des Laveshauses: Verbreiterung und „monumentale Ausgestaltung“ der Friedrichstraße (heute: Friedrichswall) samt Abriss vieler Altbauten einschließlich Kunstgewerbeschule zugunsten eines „Stadtforums“ mit Aufmarschplatz gegenüber dem Neuen Rathaus.

Text: Michael Pechel | Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover e.V.

Vom Amt zur Kammer

Nach dem Erwerb durch die Stadt 1908 wurde das Laveshaus seit den 1920er-Jahren zur Unterbringung von Ämtern wie der Kriegshinterbliebenenfürsorge genutzt. Im nationalsozialistischen Staat zog 1934 kurzzeitig die schnell wachsende Landesstelle des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda ein. Danach kam das Städtische Gesundheitsamt hier unter, das erneut von 1950 bis 1956 einzog. Infolge der hygienischen Verhältnisse und der Mangelernährung kam der Behörde in der Nachkriegszeit eine wichtige Rolle in deren Bekämpfung zu. Das Amt für Wirtschafts- und Verkehrsförderung folgte als Nutzer ins Laveshaus. Mit seinem langjährigen Leiter Hans von Gösseln (1915–1982) war es über Jahrzehnte Schaltstelle des hannoverschen Stadtmarketings.

Der Aufbau Hannovers gelang nach dem Zweiten Weltkrieg zügig, er ist mit dem Stadtbaurat, dem Architekten Rudolf Hillebrecht (1910–1999), verbunden. Ihm wird auch der als „Wunder von Hannover“ bezeichnete schnelle Wiederaufbau der jungen Landeshauptstadt zugeschrieben. Bis heute ist die Zonierung der Innenstadt in Gewerbe- und Einkaufsflächen, Regierungs- oder Bankenviertel sowie der Verweisung der Wohn- gebiete aus der Innenstadt sichtbar.

1947 wurde Hannover in der britischen Besatzungszone zur Messestadt erkoren. In der Werbung um nationale und internationale Gäste nutzte Hannover den modernen und fortschrittlichen Charakter des Neuaufbaus ebenso wie den älteren Slogan der „Stadt im Grünen“.

Der Wiederaufbau prägte Hannover als „autogerechte Stadt“. Auch der Abriss weitgehend unversehrter Gebäude wie der Flusswasserkunst am Friederikenplatz wurde dabei in Kauf genommen. Der Friedrichswall (ehem. Friedrichstraße), zu einer mehrspurigen Autostraße ausgebaut, sollte die Verkehrsströme aus dem Stadtzentrum heraushalten. Vor dem Zweiten Weltkrieg kreuzten sich die Fernstraßen am Kröpcke. Unter der Prämisse eines zunehmenden Individualverkehrs wurden Verkehrsringe um die Stadt gelegt.

Auch wenn das Laveshaus in seiner äußeren Gestalt nicht verändert wurde, störte die Bautätigkeit in direkter Nachbarschaft das von Laves erdachte Konzept. Vor allem die Gartenfläche, durch die das Haus einer Stadtvilla glich, wurde stark beschnitten: Auf der westlichen Seite wurde zugunsten eines Parkplatzes auf dem Grundstück des abgerissenen Palais von Campe ein Teil des Grundstücks abgetreten. Durch die Anlage einer Tiefgarageneinfahrt für das Hotel Interconti auf der Fläche des „Neuen Wegs“ ging ein weiterer Teil des Gartens verloren.

Auch in seinem Inneren sind Umbauten nicht ausgeblieben. Das heutige Treppenhaus im Nordwesten wurde im 20. Jahrhundert erweitert. Das zweite Stockwerk und das Dachgeschoss sollten im Zuge der Nutzung durch städtische Ämter bequemer zu erreichen sein. 

Das Laveshaus blieb als eines der wenigen Gebäude in Hannover von der Kriegszerstörung weitestgehend verschont – eine Besonderheit für die Baugeschichte Hannovers. Anfang der 1990er-Jahre wurde von Prof. Dr. Günther Kokkelink, Institut für Bau- und Kunstgeschichte der Universität Hannover, und Dipl.-Ing. Klaus Dieckmann eine grundlegende Baugeschichte dieses Hauses und der stadträumlichen Umgebung erarbeitet. 

1996 gelang es der Architektenkammer Niedersachsen unter ihrem damaligen Präsidenten Peter Stahrenberg, das Laveshaus und das Atelierhaus für 3 Mio. DM zu erwerben. Das Ziel war es, das Laveshaus originalgetreu zu sanieren und zeitgemäß zu nutzen. Vor der Sanierung für weitere 4 Mio. DM  wurden restauratorische Voruntersuchungen durchgeführt. Als Architekten waren beim Laveshaus Wolfgang-Michael Pax und Thomas Hadamczik mit Anja Brüning (Hannover), beim Ateliergebäude Kai-Michael Koch und Anne Panse mit Nicola Deindl (Hannover) tätig. Landschaftsarchitekt Thomas Mudra (Edesbüttel) gestaltete den Garten, Innenarchitekt Prof. Bernd Rokahr (Hannover) wurde für die Einrichtungsgegenstände und Mobiliar hinzugezogen.

Eine gelungene Rekonstruktion der historischen Substanz und die Transformation zum Sitz der Architektenkammer Niedersachsen sowie als Fortbildungsakademie ist das Ergebnis dieser Arbeit. Seit 1998 halten die beiden Gebäude Büro- und Besprechungsräume für die Geschäftsstelle der Architektenkammer Niedersachsen bereit. Im Atelierhaus ist ein Ausstellungsraum entstanden, der transparente Seminaranbau auf dem Hof schafft Platz für Veranstaltungen aller Art.

Kontakt
Katja Roßocha
Referentin
+49 511 28096-53