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Festvortrag

Mehr Mut! Wie Architekten die Zukunft der Arbeit prägen

Prof. Dr. Alexander Gutzmer
Chefredakteur BAUMEISTER - Das Architektur-Magazin

 

Meine Damen und Herren, einen erquicklichen Abend wünsche ich Ihnen. Ich hoffe, Sie haben diesen Sommertag genossen.

Es war an einem Sommertag wie dieser vor neun Jahren, als in einem Londoner Bürozimmer das Telefon klingelte. Oder vielleicht klingelte auch das Handy. Das Gerät gehörte jedenfalls dem Architekten Norman Foster. Und am anderen Ende war niemand geringerer als der damals schon legendäre Gründer der Technologiefirma Apple, Steve Jobs. „Norman, I need some help“, sagte Jobs der Legende nach. Und begann, über Architektur zu sprechen. Über Gebäude, die ihn geprägt haben. Über den Uni-Campus in Stanford mit seinen Wurzeln im US-amerikanischen Mission Style, vielleicht auch über zeitgenössische bauliche Ergänzungen wie das Art History Department von Diller Scofidio. Er sprach auch über Landschaft, vor allem über die US-amerikanische Tiefebene, die so genannte „Fruitbowl“.

Was mit einem Gespräch über Fruchtschüsseln begann, endete, Sie wissen es – in einem Donut. Mit dem Anruf nahm eines der kontroversesten Beispiele von Unternehmensarchitektur seinen Anfang, den wir in den vergangenen Jahren begutachten konnten: der „Apple-Campus“ oder auch der „Campus 2“, wie sie ihn in Cupertino nennen. Wie gesagt, einige sehen in dem Riesenbau mit 260.000 Quadratmeter Grundfläche einen Donut, andere bemühen die beliebte Architektenmetapher des Raumschiffes. Fakt ist: So richtig glücklich ist niemand mit dem runden Ding. Die Kritiker nicht. Die Nutzer nicht, die sich metaphorisch an überdimensionierten Großraumbüros stoßen und faktisch an zu gut geputzten Glasscheiben. Und auch ich bin nicht glücklich damit. Der Bau stellt nichts von dem dar, was ich mir unter zukunftsgerichteter Unternehmensarchitektur vorstelle. Er ist die perfekte Form, eine gelackte Oberfläche – und ein unglaublich introvertiertes, man könnte auch sagen arrogantes Gebäude. Das passt nicht in unsere Zeit.

Und es passt auch nicht zur ursprünglichen Haltung von Steve Jobs. Er wollte doch kollaborieren. Er wollte ein integratives Team bilden. Zu Norman Foster sagte er: „Don't think of me as your client. Think of me as one of your team."

Was also ist passiert? Hat Foster vielleicht den Teamgedanken nicht ernst genug genommen? Hat übergroßer Respekt vor dem mächtigen Steve dazu geführt, dass man sich in eine Symbolik von Corporate Architecture 1.0 flüchtete? Oder war die Teamorientierung am Ende doch nur hohle Rhetorik?

Nun, wir waren alle nicht dabei. Aber abseits von diesem konkreten Fall beschreiben die Statements von Jobs eine Bauherren-Haltung, die sehr real ist ­– und den Architekten heute große Chancen bietet. „Norman, ich habe ein Problem“, sagte Jobs. Die Unternehmen von heute haben auch ein Problem. Sie wollen sich von innen heraus neu denken, wollen sich aufstellen wie Startup-Firmen. Dafür brauchen sie ganz neue Kommunikationsformen. Und um diese zu schaffen, müssen sie auch ihren räumlichen Kontext neu denken. Dafür brauchen sie gute Architekten. Sie brauchen Architekten, die unternehmerisch mitdenken. Sie brauchen wirklich die integrierten Teams, von denen Steve Jobs sprach. Die Architekten spielen in diesen Teams nicht nur die Rolle des gelegentlichen Inputgebers. Sie sind die Orchestratoren räumlicher Interaktion. Der Architekt wird für Bauherren zum strategischen Partner im Prozess der unternehmerischen Neuerfindung.

Das klingt komplex – und ist es auch. Übrigens nicht nur für Sie als Architekten, sondern auch für uns im Callwey-Verlag, für den Baumeister als Architekturmedium. Auch wir müssen unsere architekturkritische Komfortzone verlassen. Wir müssen uns einlassen auf die neuen Formen der Kollaboration zwischen Unternehmen und Architekten – und daher neue Bewertungskriterien für architektonische Qualität entwickeln. Wir als Baumeister gehen, mit der Schüchternheit eines 115 Jahre alten Mediums, erste Schritte in diese Richtung. Mein Vortrag vor Ihnen heute Abend ist ein solcher Schritt. Einen anderen stellte eine Baumeister-Sonderausgabe zum Thema Arbeitswelten dar, die wir kürzlich vorgelegt haben. Entstanden war das Heft übrigens, auch das ein Stück Zukunft der Arbeit, in Kollaboration mit einer praktizierenden Innenarchitektin: Mit Ihrer Kollegin Tanja Remke aus Barsinghausen.

Doch wir wollen noch mehr. Wir wollen kontinuierlich am Ball bleiben und die wegweisendsten Beispiele innovativer Arbeitswelten finden. Hierfür haben wir jetzt eine Online-Plattform gelauncht: www.bestworkspaces.com. Hier können Sie gemeinsam mit Ihren Bauherren spannende Projekte präsentieren. Einen unabhängige Jury bewertet diese digital und kürt gemeinsam mit uns die besten Ansätze.

Doch was heißt das überhaupt, „die besten Ansätze“? Für welche Nutzersituation gilt dies? Um das zu verstehen, müssen wir anschauen, was sich konkret in Unternehmen tut – und wie die Architektur darauf reagieren kann und muss. Lassen Sie uns dies tun – in aller Kürze natürlich, denn Sie möchten ja erfahren, wer heute Abend für wegweisende Architektur in Wirtschaft und Verwaltung ausgezeichnet wird.

Den ersten Trend, den ich sehe, möchte ich überschreiben mit „Die Zeit der Selbsterfinder ist gekommen“. Was meine ich damit? Nun, ich sagte es eingangs: Unser Wirtschaftssystem befindet sich in einem rasanten Umbruch. Die Themen: Digitalisierung, Flexibilisierung, Globalisierung. Die Wirtschaft ist getrieben von der Idee des Startups. Junge Kleinstfirmen rütteln Märkte und etablierte Anbieter auf. Große Unternehmen versuchen ihrerseits, von Startups zu lernen. Und Unternehmen aller Größe üben sich in der Praxis der permanenten Neuerfindung.

Und genau dasselbe gilt auch für ihre Mitarbeiter. Auch sie erfinden sich ständig neu – teils freiwillig, teils durch Veränderungen in den Firmenstrategien getrieben. So, wie „wir die Sachen gestern gemacht haben“, interessiert heute niemanden mehr. Jeder Arbeitnehmer muss – und kann – sich seine eigene Arbeitswelt Tag für Tag neu zurechtschneidern.

Und was heißt das für die Architektur? Nun, sie muss dieser permanenten Neuerfindung im Wortsinne „Raum geben“. Sie muss so flexibel sein, dass die Neuerfinder sich in ihr entfalten und auch darstellen können. Was mehr ist als räumliche Metaphorik. Es braucht ganz konkret daraufhin gestaltete Arbeitsflächen. Es braucht tatsächlich „Bühnen“, auf denen die Neuerfinder sich inszenieren und austoben, sich zeigen können.

Klingt weit hergeholt? Ist es nicht. Das sehen wir gerade in Berlin. Dort baut Rem Koolhaas für den Medienkonzern Axel Springer. Und sein Neubau liefert genau dies: Er liefert Bühnen. Die Arbeiter der digitalen Moderne werden in diesem Bau kein isoliertes Wabendasein führen, sondern sich der Stadt selbstbewusst präsentieren. Ein tiefer Einschnitt ins Gebäude schafft die Anmutung eines digitalen „Tales“, einer Schlucht, die direkt ins Zentrum der Technologiekreativen führt.

„Tal“, „Schlucht“ – das klingt natürlich sehr nach „Silicon Valley“. Soll es sicher auch, wenn man die PR-Leute von Springer fragt. Es ist aber vor allem eine Einladung, die Digitalisierung wieder als jenen basisdemokratischen Prozess zu verstehen, der sie einmal war – vor Datenklau und den Eskapaden rund um Cambridge Analytics.

Allerdings – fertig ist der Bau noch nicht. Man wird genau beobachten müssen, wie theatralisch und wie funktional die Koolhaas-Bühnen am Ende ausfallen, ob und wie die Mitarbeiter sie nutzen – und ob auch die Bevölkerung die Einladung annimmt, den Bau zu frequentieren und sozial zu adaptieren. Denn das war intendiert. Und es wäre, wenn es denn funktioniert, eine Revolution im Selbstverständnis dieses Konzerns, der ja spätestens seit 1968 ein gespaltenes Verhältnis zur kritischen Berliner Öffentlichkeit hatte.

Wenn der Ansatz funktioniert, hätte Koolhaas hier eine neue Form der gesellschaftlich-unternehmerischen Kollaboration geschaffen – und mit der Idee der „Kollaboration“ eine weitere Kernidee der neuen Arbeit bedient. Dieser gilt zweite These. Ich möchte diese umschreiben mit der Headline „Gesucht: der kollaborative Stratege“. „Kollaboration“ ist einer der zentralen Begriffe der neuen Ökonomie. Mitarbeiter müssen bereit sein, Wissen zu teilen und über den eigenen Ego-Schatten zu springen, um gemeinsam zu starken Lösungen zu kommen. Das ist zumindest die Idee. Und die hat ja auch einiges für sich.

Aber: Kollaboration darf kein Selbstzweck sein. Große Ideen entstehen nicht allein durch gemütliches Geplauder in endlosen Planungsrunden, sondern – auch – dadurch, dass kreative Köpfe einfach mal nachdenken. Allein. Ohne Kommunikation. Womöglich sogar in einem – Achtung Schreckensbegriff für Flächenplaner – Einzelbüro. Der Autor Duncan Simester machte sich kürzlich genau für solche Denkräume stark. Die „verlorene Kunst des Denkens“ müsse wieder gestärkt werden, forderte er. Und das stimmt. Kollaboration ist gut – wenn sie durch individuelle Kreativität ergänzt wird.

Das fordert wiederum die Architektur. Sie muss Kollaborationsflächen und individuelle Denkräume kombinieren. Und sie muss dies in einer Weise tun, welche die unterschiedlichen Arten zu arbeiten nicht als Widerspruch darstellt, sondern als Teil eines produktiven – und am besten auch noch Lust stiftenden – Ganzen.

Ich weiß, das ist wieder ein hoher Anspruch. Aber auch einer, den einzulösen die Gesellschaft den Architekten von heute absolut zutraut. Es ist nicht so, dass Bauherren von Ihnen, den Architekten, immer nur neutrale Nutzflächen ohne Ecken und Kanten verlangen. Im Gegenteil: In vielen Gesprächen mit Bauherren höre ich durchaus, dass Gebäude gefragt sind, die architektonische Spannungsflächen bieten. Die Häuser der Kollaboration dürfen durchaus architektonisch präsent sein. Von außen, aber auch im Inneren. Architektur darf sich zeigen, darf auch Widerstandsflächen bieten – wenn sie sich im richtigen Moment auch zurückzunehmen weiß. Wenn sie also ihren eigenen Rhythmus schafft.

Ein Gebäude, dem dies gelingt, befindet sich übrigens ein paar Kilometer von hier entfernt. Viele von Ihnen werden es kennen, und die Juroren des diesjährigen Staatspreises für Architektur haben es auch kennengelernt: Es trägt den sperrigen Titel „Hafven“, mit f und v geschrieben. Ein Coworking-Space, rau, nicht im klassischen Sinne schön, aber so intensiv, dass die hannoversche Startup-Szene ihn offenbar gern annimmt. Wir haben das Projekt in bereits erwähntem Arbeits-Baumeister veröffentlicht – und darauf auch positives Feedback bekommen, bis hin zu echten Leserbriefen, richtig ausgedruckt auf Papier. Und das ist, glauben Sie mir, in Zeiten der Digitalisierung keine Selbstverständlichkeit mehr.

Eine andere Sache, die in den heutigen Zeiten keine Selbstverständlichkeit mehr ist, ist Loyalität. Sie kennen die Klage: „Die jungen Leute“ von heute, die Generation Y oder die Millennials, haben ihrem Arbeitgeber gegenüber keine Loyalität mehr. Vielleicht haben Sie auch das Problem, gute Leute in Ihrem Büro zu halten. Derlei bejammerten zwar vermutlich Manager von 50 Jahren auch. Doch in der Tat ist die Lage heikler geworden. Im Zuge der digitalen Dauervernetzung haben Menschen – und Unternehmen – eine Sichtbarkeit, die jene früherer Tage übersteigt. Klar, dass dabei auch das Thema möglicher Jobwechsel eine Rolle spielt. Um von guten Jobs zu erfahren, muss heute niemand mehr Stellenanzeigen lesen oder mit Headhuntern sprechen. Es genügt ein Blick auf Linkedin oder Xing.

Was aber heißt das für die Architektur? Hat das Firmengebäude als Aushängeschild ausgedient? Ist es den Digitalen von heute egal, wo sie arbeiten? Zählt nur noch das Gehalt? Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist richtig. Die Ansprache neuer Mitarbeiter mag ja noch rein digital funktionieren. Doch spätestens das erste Jobinterview wird eben doch in realen Räumlichkeiten geführt. Und auch die Beschäftigung mit dem neuen Arbeitgeber orientiert sich – auch – an dessen physischem Erscheinungsbild oder besser an dem, was er räumlich „anbieten“ kann. Warum inszenieren digitale Kultfirmen wie Google sich denn wie überdimensionierte Kindergärten? Weil sie glauben, dass das bei den gesuchten Digital-Tüftlern ankommt.

Nun würde ich diese Google-Ästhetik Ihnen oder Ihren Auftraggebern nicht unbedingt empfehlen. Im Grunde würde ich sie noch nicht einmal Google empfehlen. Ich würde aber empfehlen, darüber nachzudenken, dass die Unternehmen einen War for Talents kämpfen und in diesem Kontext auch in einem architektonischen Konkurrenzkampf stecken. Natürlich kommt es darauf an, dass Unternehmen ein Gesicht haben. Und zwar heute stärker als jemals zuvor. Weil eben alles so flexibel und amorph ist. Der Grundgedanke der Corporate Architecture, dem organisatorischen Selbst über Fassaden und Entrées ein Gesicht zu geben, stimmt weiterhin. Nur darf dieses Gesicht nicht mehr so klassisch hierarchisch daherkommen wie früher. Ein Großmaul-Arbeitgeber ist für niemanden attraktiv.

Und wie man sich demonstrativ nicht-großmäulig inszeniert, das ist kann man definitiv von den großen Playern im Silicon Valley lernen. Diese haben es geschafft, zum Machtzentrum der Welt zu werden und zugleich immer ein wenig daherzukommen wie eine Studenten-WG in Hannover-Linden. Und doch bauen sie natürlich groß. Aber: Um Perfektion geht es dabei, wenn man vom Apple-Donut absieht, nicht. Nehmen wir den Frank Gehry-Bau für Facebook in Menlo Park. Dieser ist demonstrativ nicht perfekt. Das schlangenhafte Ding präsentiert nicht die eine beeindruckende Fassade. Sein visuelles Gesicht erschließt sich von vorne vielmehr überhaupt nicht – außer in dem Sinne, dass dieses Gebäude offensichtlich seine eigene Transformation via An- und Umbau bereits mitgedacht hat.

Was bedeutet ein solcher Bau? Je nach Lesart kann man ihn für heuchlerisch – oder für hochgradig realistisch halten. Heuchlerisch, wenn man darin eine Verschleierung der Macht des Unternehmens sieht. Diese Lesart ist auch gut begründbar. Aber in gewisser Weise lässt sich das Gebäude auch als ehrlich interpretieren. Aus dieser Perspektive würde es bedeuten, dass hier das Unternehmen versteht, wie volatil man selber ist. Und das ist aus meiner Sicht auch ein Stück Corporate Message: Wir bauen nicht für die Ewigkeit, sondern immer nur für die nächsten Jahre – bis die nächste Übernahmewelle oder Transformation ansteht. Das mag unseren Erwartungen an nachhaltiges Wirtschaften nicht behagen. Es ist aber ein realistischer Blick auf den Kapitalismus von heute.

Übrigens: Bei der medialen Präsentation des Gebäudes verzichtete Facebook – zum Ärger von uns Blattmachern – komplett auf die klassischen Starfotografen. Iwan Baan musste zunächst draußen bleiben. Stattdessen lud das Unternehmen Instagrammer ein, sich ein komplett subjektives Bild von den neuen Räumlichkeiten zu machen. Ausgespielt wurden diese Bilder dann direkt auf der Digital-Plattform Instagram. Sympathisch unprätentiös? Nun ja. Instagram ist seit 2012 Teil welchen Großkonzerns? Richtig – von Facebook.

Wir sehen also: Die digitalen Großkonzerne mögen sich geben wie Lindener Studentenbuden. Am Ende sind sie aber so machtgetrieben wie kaum eine andere Industrie vor ihnen. Und sie denken dabei immer auch architektonisch. Das mag uns ängstigen. Aber es ist auch ein positives Zeichen: Ohne Architektur geht es eben nicht. Das gilt auch für die digitale Welt insgesamt. Einer der größten Irrtümer über die Digitalisierung ist der, ihr eine Entkörperlichung der Arbeit zuzuschreiben. Das Gegenteil ist der Fall: Durch die digitale Durchdringung unserer Tätigkeit werden wir räumlich flexibler. Und damit spielt der Ort, an dem wir arbeiten, eine wichtigere Rolle.

Bezogen auf Städte als Ganze wird dies unter der Headline der „Smart City“ diskutiert. Die Neufassung der Arbeitswelt geht ja einher mit der Neuentdeckung des Städtischen durch die Technologiewirtschaft. Und das kommt nicht von ungefähr. Unternehmen entdecken die Stadt wieder. Auch vielen der Einreichungen, die wir uns heute Abend anschauen, gelingt es, unternehmerische Individualität zu kombinieren mit einem inhärenten Städtertum. Es ist eine urbane Architektur, die wir hier in vielen Beispielen sehen.

Das ist für die Idee der Corporate Architecture, vor allem für jene, die Auszeichnungen gewinnen will, ein Stück weit neu. Seit den Klassikern des unternehmerischen Bauens, von Frank Lloyd Wrights Larkin Administration Building bis hin zu Herman Hertzbergers Centraal Beheer-Verwaltungsgebäude, schien Unternehmen und Stadt immer ein wenig im Widerspruch zu stehen. Dieser Widerspruch löst sich heute zunehmend auf. Metropole und Management kommen zusammen in einem parallelen Prozess an Kommunikationen, Ideenfindungen, vielleicht auch Produktentwicklungen. Unternehmen müssen sich als urbaner Akteur verstehen. Weil sie Produkte für die Stadt erzeugen, weil sie aber auch von der Stadt profitieren, von ihrer Innovationsfähigkeit, ihrer kulturellen Diversität.

Die Architektur muss sich nicht darauf beschränken, dies einfach nur aufzunehmen. Sie kann diesen Prozess vielmehr mit initiieren. Gute urbane Unternehmensarchitektur schafft Brücken, die die städtische Vitalität in den Baukörper hinein holen. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist immer noch die vor einigen Jahren fertig gestellte Hauptverwaltung der AachenMünchner Versicherung in Aachen. Die Idee der Architekten KadaWittfeld: Sie verwoben das neue Direktionsgebäude mit dem umgebenden Straßen- und Wegenetz. Der Stadtraum setzte sich im inneren quasi weiter fort. So vermieden die Architekten, wie Oliver Herwig gerade in der Neuen Zürcher Zeitung schrieb, „tote Restflächen, die nach Büroschluss wie schwarze Löcher in der Stadt wirken“. Eine direkte Fußgängerverbindung vom Hauptbahnhof zum Zentrum des Baus propagierten sie, inklusive spektakulärer Freitreppe. Das Haus selbst wird so zu einer überbauten Flanier- und Kommunikationszone.

Auch unser Baumeister-Rezensent fand damals nicht viele kritische Worte – außer dass er auf der besagten Freitreppe ins Stolpern geriet. Aber glauben Sie mir: Wenn Kritiker auf eigene Stolpereien zurückgreifen müssen, um Anhaltspunkte für Kritik zu finden, dann haben Sie als Architekt einiges richtig gemacht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns kurz verschnaufen. Einbindung in städtische Kreativflüsse, kollaborative Räume, aber auch architektonische Widerstandsfähigkeit – das klingt Ihnen jetzt alles ein wenig hochtrabend? Etwas abstrakt vielleicht? Geht es nicht eine Spur kleiner? Natürlich geht es das. Aber das sollte es nicht. „Mehr Mut“, mit diesem Titel habe ich meinen kleinen Vortrag überschrieben. Und genau zu diesem Mut möchte ich Sie heute Abend auffordern. Weil Sie als Schaffer von Arbeitsräumen eine soziale Verantwortung übernehmen. Wir Menschen verbringen im Schnitt 41 Stunden wöchentlich im Büro, so das Statistische Bundesamt. 11 Prozent arbeiten pro Woche sogar mehr als 48 Stunden – und ich fürchte, so mancher von uns gehört dazu. Da ist es eine immense soziale Aufgabe, für diese 41 bis 48 oder 55 Stunden ein Ambiente zu schaffen, dass nicht nur irgendwie funktioniert, sondern das inspiriert und unser Leben bereichert. Die Kategorien, mit denen Sie als Architekten über die Welt der Arbeit nachdenken, können gar nicht groß, gar nicht fundamental genug sein. Wer Arbeitsräume gestaltet, formt damit auch die Gesellschaft. Und ich würde mir wünschen, dass die Architektenschaft konzeptionell-philosophisch mit derselben Verve über die Welt der Arbeit nachdenken würde, wie sie das über jene des Wohnens, die menschliche Privatsphäre, seit jeher tut.

Bis heute geschieht das, glauben Sie mir, nicht. Ich kann das ein wenig beurteilen, weil wir als Redaktion natürlich ein Seismograph dessen sind, was Architekten über ihre Arbeit sagen und publiziert wissen wollen. Und da bekommen wir immer wieder elaborierte Projektdarstellungen noch des kleinsten Wohnungsbaus, ob nun ein- oder mehrfamilienbezogen. Da wird – im Wohnungsbau – jedes Mal der ganz große Reigen sozial engagierter Rhetorik ausgebreitet, da wird betont, dass das jeweilige Projekt das Leben in unseren Städten nun wirklich fundamental verändert und unsere Welt grundlegend besser macht.

Dieselbe Rhetorik würde ich mir bei der Gestaltung von Arbeitswelten auch wünschen. Aber kommt sie? Bisher nicht. Hier herrscht der große Pragmatismus. Man scheint sich fast zu genieren, dass man ein neues Bürogebäude fertig gestellt hat. Unbehagen für das Wirken im Kapitalismus? Vielleicht. Aber glauben Sie mir: Sie brauchen sich nicht zu genieren! Packen Sie die großen Rhetorikhämmer aus! Werden Sie forsch! Erklären Sie uns Redakteuren, weshalb Sie mit Ihrem letzten Bürobau die Welt der Architektur aus den Angeln heben. Vielleicht tun Sie das dann künftig auch!

In diesem Sinne, ich danke Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit, wünsche Ihnen viel Mut und Inspiration bei Ihren nächsten Bürobauten – und freue mich nun wie Sie, zu erfahren, wer das beste niedersächsische Gebäude „für Wirtschaft und Verwaltung“ des Jahres 2018 realisiert hat.